Progressive Klimapolitik

David Roberts (Volts.wtf) bringt im Podcast Sustainababble diverse theoretische und praktische Aspekte zu Klimapolitik zusammen und auf den Punkt: David Roberts zu Gast bei Sustainababble (englisch, 1¼ h)

Themen (in Klammern: ab welcher Minute ungefähr):

  • (5) US-Politik (Midterms, Biden, Inflation Reduction Act)
  • (16) Klimakonferenzen, insbesondere Paris
  • (22) AKWs
  • (24) 100% erneuerbare Energie
  • (26) CO₂-Besteuerung
  • (30) Ist die Klimafrage politisch? Und sollen Progressive versuchen, Rechte für Klimapolitik zu gewinnen?
  • (39) Was ist Klimawandel eigentlich? Was ist daran interessant? Und wie kann das vermittelt werden?
  • (50) Die Rolle von Protest und andere Rollen in der Klima-Bewegung – und wie Klimapolitik am besten vorwärts getrieben werden kann
  • (61) Über Klima schreiben

Für die Themen, auf die ich hier nicht eingehe, sowie für mehr Tiefe und Differenzierung empfehle ich sehr, selbst reinzuhören.

Was bringen Klimakonferenzen?

Laut Roberts eigentlich nichts – bis Paris kam. Denn das Übereinkommen von Paris hat es geschafft, den nötigen Pragmatismus zu injizieren, ohne den es immer um alles oder nichts ging. Es bringt Staaten dazu, anzufangen – die Hoffnung ist, dass das einen positiven Loop in Gang setzt, denn wenn wir mal beginnen, werden ja auch die Vorteile offensichtlich.

The pragmatic’s guide to nuclear power

Die AKWs, die noch laufen und sicher sind, sollen weiterlaufen – denn bei allen Problemen sind sie sicherer und umweltfreundlicher als Fossile.

Forschung: na klar!

Aber im Moment neue AKWs bauen ist nicht die Lösung. Aktuelle AKWs sind verglichen mit den Alternativen schlicht zu teuer.

100% Erneuerbare?

Die "netto null"-Diskussion: Werden wir überhaupt irgendwann auf null bzw. auf hundert kommen?

Auch hier wohltuender Pragmatismus: Ehrlicherweise wissen wir nicht im Detail, wie wir dorthinkommen. Und die Frage moralisch aufzuladen ("virtue signalling") oder mit Identitäten zu verknüpfen, bringt nichts.

Vielleicht werden es nicht 100%, aber genauso gut könnte es sein, dass die Klimawende zu einer solchen Erfolgsgeschichte wird, dass diese Frage völlig irrelevant wird – Fossile werden einfach keinen Sinn mehr machen. Und wenns dann doch noch einen Traktor auf einem Berg gibt, der Benzin braucht, schauen wir dann.

CO₂-Besteuerung

Ökonomen und Klimapolitikerinnen sind Fans, aber durchgesetzt hat sich die Bepreisung von CO₂ nicht. Was ist davon zu halten?

Theoretisch ist die Idee wirklich toll und besticht durch ihre Eleganz – und wenn man den Knopf drücken könnte, um so eine Steuer global einzuführen, yes please.

Realistisch gesehen ist die Idee aber kaum durchführbar, denn:

A carbon tax is almost the inverse of a politically attractive option: It penalises literally everyone in a very visible way – because prices go up. Whereas the benefits are all diffuse and emergent and you need an economics paper to realise what they are. … This is the opposite of good politics, you are trying to poke a stick in everyone’s eye and you’re gonna have no friends other than the economists. … But what divisions do they command?

Also: Zuerst mal zahlen alle, aber der Nutzen ist nicht direkt sichtbar ist einfach ein schwer verkäuflicher Plan. (Es ist sogar noch vertrackter – in der Schweiz ist ja CO₂-Abgabe mit Rückzahlung (also klar sichtbarem Nutzen für die meisten) gescheitert, weil in Zweifel gezogen wurde, ob denn wirklich die Richtigen davon profitieren).

Roberts meint weiter, dass die Idee von Naturwissenschaftlerinnen und Ökonomen komme – die beide kein politisches Sensorium hätten. Nicht nett und recht undifferenziert, aber als Einordnung hilfreich.

In den USA war die Idee in den 2000ern und 2010ern überall – heute sei sie bei der US-Klimabewegung zurückgestuft auf "eins von vielen Werkzeugen".

Die Politisierung der Klimafrage

Warum ist die Klimawende eigentlich zu so einem umkämpften Thema geworden?

Auch hier wieder der Hinweis auf die Realität: Wer sagt, dass Klimawandel ja eigentlich kein progressives Thema ist, redet davon, wie es sein sollte. Das Vermeiden von partisanship kann aber zur Selbsttäuschung werden – Fakt ist nämlich: ‌Alle, die je etwas fürs Klima gemacht haben, sind in derselben Partei.

Dies gilt zuerst mal für die USA mit ihrem Zweiparteiensystem. Aber US-Diskurse schwappen ja immer auch nach Europa, auch wenn’s hier nicht so extrem ist (in UK war z.B. Boris Johnson für Klimamassnahmen).

American elites are full of people who want to believe they are not partisan. They see the bigger picture. They are not one of those grubby activists who have chosen a side and ignore all the other sides’ arguments. – All these people are, although they don’t realise, on the left. You just need to probe their values a little bit – Do you believe in basic human rights? Do you believe in truth, in accuracy? – and you’ll find that one side does, the other doesn’t.

Denn: Klimapolitik hat eben durchaus etwas mit progressiven Werten zu tun. Roberts meint sogar, das Verständnis der Klimakrise setze liberale Werte voraus: Menschenrechte, Kooperation (inkompatibel mit Nationalismus), Einbussen jetzt für spätere Generationen, Ärmere (a.k.a. Solidarität und Umverteilung).

Heisst also auch: Man muss sich nicht um Argumente bemühen, die vielleicht alle Unüberzeugten doch noch ins Boot holen könnten. Jedenfalls nicht bis zum Sanktnimmerleinstag unter Aufwendung enormer Ressourcen. Wenn Leute sich mal auf einer Seite einsortiert haben, sind die meisten Anstrengen vergebens – sie sind auch für Argumente nicht erreichbar, die solchen Leuten doch eigentlich einleuchten müssten (z.B. wirtschaftliche Chancen, innere Sicherheit, Unabhängigkeit). Die Verknüpfung der Themen mit Identität hält sie davon ab (in den USA ist neuerdings ja sogar der Gasherd eine Identitätsfrage). In Mehrparteiensystemen und weniger zweigeteilten politischen Kulturen liegen die Dinge zum Glück etwas anders.

Wie am besten Klimapolitik vorantreiben?

Am Anfang steht die Frage, ob Proteste überhaupt etwas bringen oder ob sie sogar kontraproduktiv seien. Am besten lässt sich das gleich allgemein beantworten:

Not everybody has to be doing the same thing. … You need a portfolio of approaches. You need an ecosystem working at this. … Nothing is dumber than when people from one of those factions yell at people from other factions that they should be more like their faction.

Nicht nur ist es bescheuert, andere für ihren Ansatz zu kritisieren, sondern die Vielfalt ist gerade der Schlüssel. Es braucht alle(s): Storytelling und Tech-Optimismus, Wissenschaftlerinnen und Ingenieure, Aktivistinnen und Protest, Künstler und Unternehmerinnen.

Etwas schwieriger ist zu evaluieren, was (am besten) funktioniert. Protest ist jedenfalls sicher nicht das, was dem Vorankommen im Wege steht. Zur Frage, welche Art von Protest etwas bringt, ist zu bedenken: Es geht darum, Aufmerksamkeit zu kriegen. Und dafür gibt es keine goldene Regel. Suppe auf Bilder? Hände auf Strassen? Vielleicht etwas affig (goofy), aber hat die media machine geknackt. Die Idee dahinter ist richtig: Mal was ausprobieren. Sozialer Protest war früher auch nicht treffsicher – "anerkannte" Aktionsformen sind durch trial and error entstanden.

Wenn heute etwas dem Fortschritt im Weg steht, ist es laut Roberts eher die Professionalisierung der NGOs, die ein routiniertes protest game spielen, das niemanden beeindruckt.

Bedenkenswert ist hier auch das soziale Phänomen des social proof: Wenn wir andere sehen, die eine Haltung, die wir auch haben, in die Tat umsetzen, ist das ein starkes Signal. Fehlt das, kann es uns zweifeln lassen, ob wir richtig liegen. Die Strasse zu blockieren ist ein weitreichenderes Signal als an einer Klimademo teilzunehmen – da meint’s jemand ernst. Es ist existentiell. Das sendet die Botschaft: I too am concerned about this, it’s OK to freak out about this!

Kim   •   20.2.2023