Michael Liebreich beschäftigt sich schon lang mit der Energiewende – er kommt aus der Finanzbranche, hat New Energy Finance gegründet und an Bloomberg verkauft (heute BloombergNEF) und macht nun beides: Investieren und öffentlich über Wirtschaft meets Klima reden.
Bei Volts spricht er mit David Roberts über einen Pragmatic Climate Reset, den er zuvor in zwei Artikel dargelegt hat (Teil 1, Teil 2).
Spannend fand ich Min. 23–28 im Gespräch und seine Ansicht zum Stand der Energiewende, die er auch im ersten Artikel ausführt. (Seine politischen Ansichten im zweiten Teil des Podcasts sowie im zweiten Artikel weniger.)
Der Stand der Energiewende
Im Raum stehen Äusserungen wie die Transition zu Erneuerbaren wird nicht passieren und OK, vielleicht bauen wir viel Erneuerbare zu, aber sie werden die Fossilen ergänzen, nicht ersetzen. Dazu pullt Liebreich erst mal eine britische Untertreibung:
[R]umors of the death of the transition are greatly exaggerated.
Und wird dann konkret: Die Annahme, dass neue Energiegewinnungsmethoden immer additiv seien, sei schlicht falsch. Da wir noch in einem sehr frühen Stadium der Transition von Fossilen zu Erneuerbaren sind, ist die Verlaufskurve zwar noch nicht klar zu sehen – aber:
- Wind und Solar machen weltweit 93% des Zubaus zum Stromnetz aus.
- Schon jetzt wächst die bereitgestellte saubere Energie schneller als die Nachfrage.
- Die Geschwindigkeit des Zubaus steigt weiter an.
Die Folge davon werde sein, dass Erneuerbare die Fossilen aus dem Netz drängen werden – nicht sofort, und vielleicht auch noch 10–20 Jahre nicht, dann aber schnell (first slow, then fast). Es handelt sich um eine nicht-lineare Transition.
[I]n any scenario in which clean energy grows faster than energy demand over a number of decades, fossil fuels are squeezed out of the system.
Ein vereinfachtes Szenario wird im Artikel durchgespielt, inkl. Grafik.
The primary energy fallacy
Wer behaupten möchte, dass das mit der Energiewende ja nie funktioniert, behauptet auch gern, wir seien bei 20% sauberem Strom. Falsch, es sind bereits 32%, ausser man pflegt den Primärenergie-Irrtum: Aus Fossilen lässt sich viel weniger elektrische Energie rausklopfen als eigentlich drinsteckt, weil beim Verbrennen ein Grossteil als Wärme verpufft. Das Einrechnen der ungenutzten Energie bläst den Anteil der Fossilen künstlich auf. Sehr verständlich rechnet das der Graslutscher vor (vgl. Strom spart Energie).
The transition is considerably more advanced than its detractors would like us to believe.
Wir sind also nicht bei ⅕, sondern schon bei ⅓. Wer mit "erst 20% LOL!" um sich wirft, disqualifiziert sich selbst.
Noch eine Baustelle: Wasserstoff
Wasserstoff werde sich nicht durchsetzen, und es werde auch nicht billiger werden wie Solarstrom, Windkraft und Batterien – schlicht weil die Produktion mehrstufig abläuft und mit grossen Verlusten einhergeht. Daran festzuhalten sei Augenwischerei und Verzögerungstaktik:
Hydrogen needs a reset all of its own. In all my decades as an analyst, I have never seen such a big disconnect between the physics of what a solution can deliver, and the politics of what’s being asked of it. Why does this matter? Because if you wanted to delay the transition you would promote a solution that sounds perfect but doesn’t work.
Für Flugzeuge sei Wasserstoff ebenfalls nicht geeignet:
Hydrogen aviation? It’s a dead parrot […]. Building the plane is not the problem (though it would carry half the passengers because it’s full of hydrogen and insulation) but there is no plausible way of getting liquid hydrogen to major airports at the required scale to run an airline.
Synthetisches Kerosin (Wasserstoff + Kohlenstoff) leide v.a. daran, dass es zu teuer sei – im Moment Faktor 12, und auch hier seien keine grossen Verbesserungen zu erwarten.