Der Masterplan

Das Klima retten! Aber wie?

Ich höre Divestment! Vegane Ernährung! CO₂-Steuern! Kompensation! Weniger fliegen! Öffentlichen Verkehr fördern! Aufforsten! Nachhaltiger konsumieren! Pensionsgelder umleiten! Finanzplatz dekarbonisieren! Solar und Wind ausbauen! Wasserstoff! Neue Technologien! Weniger konsumieren!

Ich höre einen Einspruch: Individuell bringt nichts, das muss politisch geschehen. Und Einspruch dazu: Kapitalismus abschaffen! Der treibt ja den ganzen Konsum. Und wiederum Einspruch: Es braucht einen Umschwung in den Köpfen, kein anderes System.

Ernährung vs. Politik vs. Technologie vs. Markt

Die eine richtige Massnahme: Beseitigt auf einen Schlag zehn, zwanzig, dreissig Prozent des Problems und tut dabei auch nicht weh. Breit akzeptiert, süsser Geschmack nach Zukunft, Auswirkungen eindeutig und natürlich keine ungewollten Nebeneffekte.

Vorschlag: Wir steigen alle aufs Velo um. Oder den Zug. Und zwei Tage Homeoffice die Woche.

Oder hey, noch besser: Wir nehmen die Pensionsfonds als Hebel und schauen, dass sie nicht mehr in Öl und Kohle investieren. Und dafür in Solar und Wind! Könnte klappen, oder?

Ah nein, jetzt hab ich’s: Zu Ökodiesel verarbeiteter Wasserstoff aus Solarkraftwerken in der Wüste! Bringt viel mehr als Investitionen in Gebäudesanierungen im Lande, nämlich. Und braucht keine Batterien, denn die haben Lithium drin, und das ist ein Problem (inspiriert von Forschergeist #66, aber zu sehr verkürzt, um fair zu sein – der dort dargestellte Plan beinhaltet noch viele andere Massnahmen).

Noch ein Masterplan! 🥳

Viele Pläne zur Klimarettung haben eins gemeinsam: Sie fokussieren auf einen Hebel und erklären ihn für allen anderen überlegen und deshalb unumgänglich, best of all shits, geheimste aller geheimen Negativemissionssaucen.

Nur blöd, plädieren genauso schlaue Leute andernorts fürs Gegenteil.

Zum Beispiel der Vorschlag “Wasserstoff aus Solarkraftwerken in der Wüste”. Man nehme ein paar Technologien (Photovoltaik + Verwasserstoffung + Aufbereitung zu synthetischem Treibstoff), stelle sie viel vorteilhafter als die anderen dar (Lithium-Batterien), nehme individuelle Mobilität für gegeben, erkläre Investitionen im Inland für ineffizient, et voilà, erster Pfeiler des Masterplans. Nachteile und Fragezeichen ignoriere man:

  • Verwasserstoffung ist derb ineffizient (und sauteuer)
  • Rebound-Effekte
  • fehlende Überprüfbarkeit bei Reduktion im Ausland (Thomas Stocker äussert sich in der Republik dazu sehr kritisch, Stichwort “Monitoring”)
  • Konsum reduzieren wäre viel einfacher, als die Produktion umzustellen
  • politische Machbarkeit und Akzeptanz
  • die Dauer der Umstellung (Elektroautos sind auf dem Markt; Verwasserstoffung ist noch nicht besonders weit und synthetische Treibstoffe werden nirgends im grossen Rahmen hergestellt)

Oh well. Vielleicht doch kein Masterplan 🤷

Erste Erkenntnis: Klimadebatten haben diverse Dimensionen, zum Beispiel

  • Produktion vs. Verbrauch
  • Bereiche, die das Klima belasten: Verkehr, Heizen, Ernährung, …
  • Konsum (individuelle Ebene) und Politik (kollektives und institutionelles Handeln)
  • Wo ansetzen bei der Reduktion: im Inland oder im Ausland?
  • Sparen oder auf neue Technologien setzen? (Benziner durch E-Autos oder Velos ersetzen?)
  • im System etwas ändern mit marktwirtschaftlichen Mitteln oder das System als ganzes in Frage stellen?

Zweite Erkenntnis: Das Herausstreichen eines Ansatzes, dem gegenüber andere Methoden abgewertet werden, nimmt blinde Flecken in Kauf. Es ist schwierig, technologische Entwicklung und gesellschaftliche Dynamiken vorauszusehen. Wer hätte vor 20 Jahren voraussagen können, dass Photovoltaik heute über 10x günstiger ist?

Ist der Vorschlag deswegen schlecht? Nein. Aber er macht die anderen Ansätze nicht überflüssig. Und das gilt (sehr ziemlich sicher) für jeden Masterplan. Nicht, dass man es nicht probieren sollte. Wenn etwas draus wird: toll! Aber warum denn nicht in der Wüste und in unsere Gebäude investieren (die sowieso irgendwann energetisch saniert werden müssen)? Was spricht gegen grüne Treibstoffe und Elektroantrieb und mehr Veloförderung und mehr Zug und Mobilitätsreduktion? Warum müssen wir A gegen B gegen C ausspielen?

Mit anderen Worten: Das eine tun und das andere nicht lassen. Denkt man nicht nur an Effizienz, sondern auch an gesellschaftliche Dynamiken, kann es genauso wichtig sein, etwas weniger Effizientes vor der Haustür zu tun, damit etwas anstossen und dem Anliegen Aufwind geben.

Pläne machen wir nun seit mindestens drei Dekaden. Wir haben einige Technologien, die ziemlich sicher Teil der Zukunft sein werden. Jetzt geht es nicht um den optimalen Plan, sondern darum, endlich ernst zu machen und so viel wie möglich so schnell wie möglich umzusetzen. Gas geben, wie man früher sagte. Und daneben weiter Neues ausprobieren.

All the Stellschrauben are belong to us!

Der Leitgedanke des sowohl-als-auch gilt für zwei Dimensionen:

  • Vorgehen (politisch/persönlich, Anreize/Verbote etc.)
  • Bereiche (Mobilität, Wohnen, Essen etc.)

Beim Vorgehen bin ich geneigt zu sagen, die Politik solle es richten (was bringt’s, wenn ich den Zug nehme, während mein Nachbar sich einen SUV anschafft?) – nicht falsch. Aber auch nicht die ganze Wahrheit. Schön formuliert hat das Daniel Graf in der Republik:

Die Klimakrise verlangt unabdingbar nach einer politischen Antwort. Aber die Forderung nach «einer politischen Lösung» darf nicht zu einer neuen Form der Ausrede werden. Zu lange haben wir gewartet, um das Problem noch delegieren zu können. Wir sind Bürgerin und Kundin, Wähler und Konsument. Der Frage nach der eigenen Verantwortung entkommen wir nicht durch ein Wahlkreuz.

Also:

  • politisch und persönlich handeln (soziologisch-philosophisch nähert sich dem Thema Daniel Strassberg)
  • auf Technologie und Verhaltensänderungen setzen
  • in der Wirtschaftslogik (Anreize etc.) und ausserhalb (mehr Konsum ≠ mehr Lebensqualität) denken
  • Kompensation und lokal handeln

Die zweite Dimension des sowohl als auch ist die konkrete: An welchen Stellschrauben sollen wir drehen? Antwort: an allen (mit Gruss an Sven Plöger). Nicht A oder B, weil das gerade mehr verspricht. Sondern A und B. (Oft weiss man ja im Vornherein gar nicht, was unterm Strich rauskommt, positiv oder negativ.)

Unser Mindset muss sein: Alles tun, was in unserer Macht steht. Voilà, der Masterplan.

Kim   •   15.8.2021   •   abgelegt unter  
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